01. Nov 2020
Vorsorgekoloskopie in Deutschland, eine Erfolgsgeschichte
Seit 2002 ist in Deutschland die Vorsorge-Koloskopie (d. h. eine komplette Darmspiegelung aus Gründen der Darmkrebs-Prävention bei beschwerdefreien Patienten) eine Leistung der Krankenkassen ab dem 55. Lebensjahr. Bei besonderen Gründen (z.B. wenn familiär gehäuft Darmkrebs-Erkrankungen vorkommen) kann auch ein früherer Untersuchungszeitpunkt sinnvoll sein, und wird dann ebenfalls von der Krankenkasse übernommen. Hier nimmt Deutschland international eine Vorreiter-Rolle ein. Im Oktober 2018 wurde die gesetzliche Vorsorgekoloskopie 16 Jahre alt. Aufgrund von neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen war eine Anpassung des Vorsorgeprogramms notwendig.
Im Jahr erkranken etwa 34000 Männer und 28000 Frauen in Deutschland an Darmkrebs. Etwa 26.000 Menschen versterben an dieser bösartigen Erkrankung. Unbehandelt führt Darmkrebs in den allermeisten Fällen innerhalb von 12 Monaten zum Tod.
Nach Prostata- und Lungenkrebs ist für Männer der Darmkrebs die dritthäufigste und nach Brustkrebs für Frauen zweithäufigste Krebstodesursache in Deutschland. Etwa jede achte Krebserkrankung in Deutschland betrifft den Darm. Im Laufe des Lebens erkrankt einer von 15 Männern und eine von 18 Frauen an Darmkrebs.
Bei der Vorsorgekoloskopie können die noch gutartigen Vorstufen des Darmkrebses/Wucherungen der Darmschleimhaut (Polypen bzw. Adenome) entfernt werden, sodass der Darmkrebs gar nicht erst entstehen kann. Diese nehmen insbesondere bei Menschen über 50 Jahren zu.
Auch wird der Darmkrebs bei der Vorsorgekoloskopie oft in einem noch frühen Stadium erkannt, in dem er noch gut behandelbar/heilbar ist.
Die Koloskopie (Darmspiegelung) ist derzeit der Goldstandard in der Darmkrebsvorsorge mit einer Spezifität und Sensitivität von über 95%. Die Methode ist mit einer sehr geringen Komplikationsrate (Blutung, Perforation) behaftet. Die Komplikationsrate wird von der Koloskopie-Begleitforschung in Deutschland mit etwa 0,2% angegeben. Daher kann die Koloskopie als sehr sicher angesehen werden.
Die Spiegelung wird heute in der Regel in einer Kurznarkose (Propofol®) durchgeführt; mögliche Nebenwirkungen ist die Atemdepression. Eine große deutsche Studie gibt diese Komplikationsrate mit 0,01-0,1% an, das heißt ein Ereignis auf ca. 10.000 bis 1.000. Die Kurznarkose erfordert ein sorgfältiges Überwachen des Patienten auch nach dem Eingriff (Pulsoxymetrie, RR-Messung).
Die Vorbereitung zur Koloskopie erfolgt durch eine sorgfältige Darmreinigung, für die es verschiedene Vorgehensweisen gibt. Sie sollten mit dem Untersucher beim Aufklärungsgespräch besprochen werden. Die Darmreinigung ist heute aufgrund besserer Anwendungsmöglichkeiten deutlich weniger unangenehm. Durch Insufflation von CO2-Gas anstelle von Raumluft können ein Blähbauch und Bauchkrämpfe nach der Untersuchung deutlich reduziert werden.
Die Vorsorgekoloskopie ist an strikte Qualitäts- und Hygienekontrollen gebunden. Durchgeführt wird sie nur von spezialisierten Ärzten, welche die Koloskopie und die Polypektomie, d.h. die Polypabtragung, zuvor bereits in hoher Fallzahl unter Anleitung durchgeführt haben. Im Verlauf müssen dann mindestens 200 Koloskopien/Jahr und 50 Polypektomien/Jahr nachgewiesen werden, um zu gewährleisten, dass der untersuchende Arzt weiterhin ausreichend qualifiziert ist.
Die Daten der Vorsorgekoloskopien (u.a. Diagnosen und evtl. Komplikationen) werden nach Vorgabe der gesetzlichen Krankenkassen anonymisiert weitergeleitet und zentral ausgewertet. Hierdurch konnte der Nutzen dieser Untersuchung und die sehr niedrige Komplikationsrate bereits eindrücklich belegt werden. Weiter erhalten die untersuchenden Ärzte durch die vergleichenden Statistiken eine Rückkopplung über die Qualität ihrer Untersuchung.
In Deutschland ist in der Altersgruppe der 50 bis 74 Jährigen die Zahl der Neuerkrankungen an Darmkrebs zwischen 2002-2014 um 17% zurückgegangen. Der Grund ist die Teilnahme an der 2002 eingeführten gesetzlichen Vorsorgekoloskopie. In der Altersgruppe von 25 bis 49 Jahre stieg jedoch die Zahl der Neuerkrankungen um 11% an (Hochrechnungen der Felix Burda Stiftung auf Basis der Daten des Robert Koch Institut). Dies unterstreicht zwar die Effektivität der Vorsorgemaßnahmen in der o. g. Altersgruppe, zeigt aber auch noch ein deutlicheres Verbesserungspotential für jüngere Betroffene an. Hier ist insbesondere das Herausfinden von Risikopatienten wichtig.
Der Effekt der Teilnahme an der Darmkrebsvorsorge bis Oktober 2018 ist beachtlich. Rund 7 Millionen Menschen haben bis 2018 an dieser Präventionsmaßnahme teilgenommen. Einer Hochrechnung zufolge wurden in Deutschland in den ersten 10 Jahren seit Einführung der Früherkennungskoloskopie ca. 180.000 Darmkrebsfälle verhindert und mehr als 40.000 Karzinome in einem frühen Stadium entdeckt. (Brenner et. al, 2016) Für die Vorsorgekoloskopie liegt inzwischen die sogenannte number needed to screen (NNS) vor: 14 Männer und 26 Frauen müssen gespiegelt werden, um eine fortgeschrittene Neoplasie zu entdecken (Pox et al., 2012).
Aber: 2016 waren 14.098.670 Personen anspruchsberechtigt, an gesetzlichen Früherkennungsmaßnahmen (FOBT, Koloskopie) und an Beratungen zur Prävention von Darmkrebs teilzunehmen; wahrgenommen haben das nur 11,4% (www.gbe-bund.de). Insbesondere Männer nehmen noch deutlich zu wenig an Darmkrebsvorsorgemaßnahmen teil.