16. Mai 2013
Es ist Frühling, die Natur erwacht nach einem langen kalten Winter, die Vögel zwitschern morgens wieder fröhlich und Bäume und Pfl anzen explodieren in ihrer grünen Vielfalt und machen die Welt wieder bunt.
Frau Keller liebt den Frühling, aber dieses Jahr ist alles anders. Jede Nacht wird sie gegen 3 Uhr wach und wird von gewaltigen Hustenanfällen gequält. Es schüttelt sie vor Husten und dabei hört sie ein Pfeifen bei jedem Atemzug und die Atmung wird schwerer als würden Gewichte auf ihrem Oberkörper liegen. Sie bekommt Angst und Panik zu ersticken.
Schon mehrere Nächte hintereinander konnte sie deshalb nicht mehr schlafen. Ihr Hausarzt weiß, dass sie seit vielen Jahren im Frühling Heuschnupfen hatte mit lästigem Augenjucken und Fließschnupfen, besonders wenn sie draußen war. Er verschreibt ihr einen Bronchialspray, den sie bei Husten oder Atemnot bedarfsweise inhalieren soll und überweist sie ins MED Facharztzentrum in die Pneumologische Gemeinschaftspraxis zum Ausschluss eines Asthmas.
Frau Keller (42 Jahre) stellt sich in der Lungenpraxis vor. Der Bedarfsspray hilft nachts bei Husten zwar schnell, so dass sie wieder einschlafen kann, aber dennoch wird sie jede Nacht weiterhin wach durch den Husten und tagsüber empfindet sie bei körperlicher Anstrengung eine Kurzatmigkeit, die sie vorher nicht kannte, und sie hat gelegentlich trockenen Reizhusten. Sport ist dadurch sehr erschwert und sie fühlt sich stark beeinträchtigt.
Frau Dr. Gillmann-Blum empfängt sie zum Erstgespräch.
Dr. GB.: Was kann ich für Sie tun, Frau Keller?
Fr. K.: Seit 2 Wochen wache ich nachts mit starken Hustenanfällen, Atemnot und Angst auf. Der Bedarfsspray von meinem Hausarzt hilft zwar kurzfristig ganz gut, aber ich bekomme die Beschwerden immer wieder und
jetzt auch tagsüber.
Dr. GB.: Haben Sie Fieber und fühlen Sie sich insgesamt krank?
Fr. K.: Nein, ich bin vielleicht etwas müde, weil ich nicht durchschlafe, aber sonst fühle ich mich fit.
Dr. GB.: Sind bei Ihnen Allergien bekannt?
Fr.K.: Ja, ich habe seit vielen Jahren Heuschnupfen im Frühjahr. Ich bin dagegen vor mehreren Jahren auch schon einmal hyposensibilisiert worden. Die letzten Jahre war der Heuschnupfen etwas weniger gewesen. Ich nehme dann Antiallergika und manchmal antiallergische Nasensprays. Damit war es dann okay.
Dr.GB.: Hatten Sie selbst schon einmal Asthma, z.B. in der Kindheit, oder gibt es bei ihren Eltern oder Geschwistern Asthma?
Fr.K.: Ich selbst hatte noch nie Asthma, bei meiner Mutter ist es seit der Kindheit bekannt.
Dr. GB.: Rauchen Sie oder haben Sie mal geraucht?
Fr.K.: Nein, nie, ich bin normalerweise recht sportlich, da passt das nicht!
Frau Dr. GB.: Haben Sie andere Vorerkrankungen oder nehmen Sie Medikamente?
Fr.K.: Nein, ich war immer gesund und ernähre mich bewusst gesund.
Frau Dr. GB.: Ich würde Sie jetzt gerne mal abhören.
Frau Dr.GB. hört beim Abhören mit dem Stethoskop bei Frau Keller sogenannte trockene Rasselgeräuche wie Pfeifen und sogenanntes Giemen.
Frau Dr. GB wieder im Gespräch: Frau Keller, ich glaube, dass ein Asthma bronchiale Ihnen die Beschwerden macht. Wir nennen das einen sogenannten Etagenwechsel. Das bedeutet, dass der Heuschnupfen besser wird und das Asthma erstmals beginnt. Wir würden bei Ihnen jetzt gerne einen Allergietest, einen sog. Prick-Test machen.
Dabei wird sich wahrscheinlich die Baumpollenallergie bestätigen, wir wollen aber dabei auch sehen ob neue Allergien wie z.B. gegen Gräser-, Getreide- oder Kräuterpollen, Hausstaubmilbe, Tierhaare oder Schimmelpilze dazugekommen sind. Haben Sie Haustiere?
Frau Keller: Nein, aber wenn ich bei meiner Nachbarin bin, die eine Katze besitzt, muss ich ganz viel nießen und husten und ich merke neuerdings, dass ich schlechter Luft bekomme.
Frau Dr. GB.: Das werden wir dann auch im Pricktest sehen, ob Sie gegenüber Katzenhaaren allergisch sind. Nach dem Allergietest werden wir die große Lungenfunktion machen. Falls diese eingeschränkt ist, was bei Ihren Beschwerden durchaus möglich ist, werden Sie 2 Hub von Ihrem Bedarfsspray nehmen und wir testen die Lungenfunktion 10 Minuten später noch mal, um zu sehen ob die Einschränkung reversibel ist (sog. Broncholyse).
Sollten Sie hingegen eine normale Lungenfunktion haben, machen wir den sog. Provokationstest: Sie inhalieren dann in steigenden Dosierungen Methacholin, das ist ein harmloser Atemreizstoff, vergleichbar mit kalter Luft, und wir testen nach jeder Stufe, ob ihre Lungenfunktion sich verschlechtert. Wenn ja, heißt das, dass Sie eine sog. Bronchiale Überempfindlichkeit haben und dies spricht bei Allergikern für ein Asthma bronchiale.
Wir bieten auch sog. NO-Messung* als Diagnostik an: Diese weist die Entzündung in den Atemwegen nach, die für Asthma typisch ist. Dieses sog. Stickstoff-Monoxid lässt sich in der Ausatmungsluft bei Asthmatikern aber nicht bei Bronchitis, der häufigsten alternativen Diagnose, individuell erhöht nachweisen und gibt uns somit einen weiteren Beweis für die Asthmadiagnose.
Asthma Bronchiale: Asthma bronchiale entsteht durch eine chronische Entzündung in den Bronchien, die zu einer Überempfindlichkeit der Atemwege führt. Dies führt zu anfallsartiger Atemnot mit Husten und zähem glasigem Sekret durch Verkrampfung der Bronchialmuskulatur , vermehrte Bildung von Schleim und Schwellung der Bronchialschleimhaut.
Hyposensibilisierung: Mit einer Hyposensibilisierung (auch Allergieimpfung oder Spezifische Immuntherapie genannt) soll die eigentlich unnötige, überschießende Reaktion des Immunsystems auf ein Allergen reduziert werden. Sie erfolgt in der Regel über 3 Jahre. Zum Beispiel als subkutane Immuntherapie (SCIT) – die Allergene werden subkutan alle 4-6 Wochen unter die Haut gespritzt
Sublinguale Immuntherapie (SLIT): Die Allergene werden als Tropfen täglich über die Mundschleimhaut aufgenommen.
Allergie-Immun-Tabletten (AIT): Die Tabletten werden ebenfalls über die Mundschleimhaut aufgenommen.
Frau Keller: und falls das alles okay wäre?
Frau Dr. GB: Falls wir keine Allergien und keine Bronchiale Hyperreagibilität oder erhöhte Atemwegsentzündlichkeit nachweisen, müssten wir doch sicherheitshalber ein Röntgen-Thorax-Bild machen und ein EKG schreiben zum Ausschluss von einer anderen Ursache. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass das Ganze sich als Erstmanifestation eines Asthma bronchiale bestätigen lässt.
Und so war es dann auch, Frau Keller hatte im Prick-Test neben der bereits bekannten Baumpollenallergie auch eine Allergie gegenüber Gräser- und Roggenpollen, sowie eine Katzenhaarallergie und leichte Hausstaubmilbenallergie entwickelt.
Es wurde Blut abgenommen, um dies im Blut mit sog. RASTWerten
zu bestätigen, welche die Antikörper im Blut gegen diese speziellen Stoffe nachweisen.
Frau Keller wollte gerne auch die NO-Messung auf eigene Kosten (20.-€) durchführen lassen und es zeigte sich ein deutlich erhöhter NO-Wert sowohl in der Ausatmungsluft der Bronchien als auch der Nasennebenhöhlen. Die Ruhelungenfunktion war normal, so dass der Provokationstest durchgeführt wurde. Dort reagierte Frau Keller bereits bei der zweitniedrigsten Stufe mit einer Verschlechterung der Lungenfunktion
und Husten, so dass der Test vorzeitig abgebrochen wurde und ihr 2 Hub von dem Bedarfsmedikament zum Inhalieren gegeben wurde. Nach 10 min war die Lungenfunktion wieder normal und der Reizhusten weg.
Frau Keller kommt zum Abschlussgespräch zu Frau Dr. Gillmann-Blum ins Arztzimmer.
Frau Dr. GB.: Es hat sich bestätigt, dass ihr Heuschnupfen sozusagen eine Etage tiefer „gerutscht“ ist und Sie jetzt ein Asthma bronchiale, wahrscheinlich durch ihre Allergien haben. Das ist nicht schlimm, denn das lässt sich sehr gut behandeln.
Das Wichtigste ist dabei ihr Bedarfsspray (sog. Beta-2-Mimetika), den Sie bereits von ihrem Hausarzt bekommen haben und bis zu 4x täglich inhalieren können, wenn nötig jedesmal regelmäßig 2 Hub vor Sport. Sie werden diesen wahrscheinlich in der Pollenzeit häufiger brauchen, z.B. wenn Sie draußen Sport treiben wollen.
Sie werden sich daran gewöhnen, ihn dabei zu haben. In der Allergiezeit und vielleicht auch in Zukunft im Rahmen von Infekten werden Sie zu dem Bedarfsspray je nach Beschwerden und je nach Lungenfunktionsverschlechterung zusätzlich einen kortisonhaltigen Spray sowohl für die Bronchien als auch als Nasenspray brauchen. Dieser ist ganz niedrig dosiert und wirkt lokal antientzündlich. Wir haben im NO-Test ja eine erhöhte Entzündlichkeit sowohl in den Atemwegen als auch in den Nasennebenhöhlen nachgewiesen. Sie haben bei dieser Art von Therapie
keine Nebenwirkungen wie bei einer höherdosierten Kortisontherapie mit Tabletten. Der kortisonhaltige Spray ist eine ganz wichtige Säule in der Asthmatherapie, da er die Dauerentzündung und die auch bei Ihnen
nachgewiesene Hyperreagibilität lindert. Diese machen Ihnen Ihre starken Beschwerden wie Atemnot und Husten.
NO-Messung: Mit einer neuen modernen Messmethode, der Stickstoff- Monoxid- Messung (FeNO- Messung) in der Ausatemluft kann das genaue Ausmaß der Entzündung in den Atemwegen festgestellt werden.
Exacerbation: Unter Exazerbation versteht man die deutliche Verschlimmerung der Symptome einer bereits bestehenden, in der Regel chronischen Erkrankung. Tritt die Verschlimmerung plötzlich auf, spricht man von akuter Exazerbation.Exazerbation und Remission sind gegenläufige Phasen eines Krankheitsverlaufs.
Es gibt noch weitere gute Medikamente gegen das Asthma bronchiale, die wir stufenweise je nach Beschwerden verordnen, die Sie aber z.Zt. nicht brauchen (sh. Tabelle).
Frau Keller: Muss ich jetzt mein Leben lang Medikamente nehmen?
Dr. GB.: Nein, das wird nicht immer notwendig sein, nur dann wenn Sie Beschwerden haben. Bei Ihnen kann es z.B. sein, dass Sie besonders in der Pollenzeit regelmäßig Medikamente brauchen und sonst vielleicht nur bei stärkeren Infekten oder wenn Sie sich aufhalten, wo Katzen leben. Deshalb müssen Sie lernen, Ihren Körper zu verstehen. Dazu hilft Ihnen dieses kleine Gerät, der sog. Peak-flowmeter, mit dem Sie sich selber einen Lungenfunktionswert messen können. Die Werte können sie in ein sog. Asthma-Tagebuch eintragen und Sie werden erkennen durch welche Auslöser sich ihre Lungenfunktion verschlechtern kann und wie gut die Medikamente Ihnen helfen.
Frau Keller: Heißt das denn, dass ich jetzt gar keinen Sport mehr machen kann?
Dr. GB.: Nein, natürlich können, ja - Sie sollen sogar Sport machen. Mit einem gut eingestellten, wir sagen heute „kontrolliertem“ Asthma können Sie eigentlich alles machen. Gefährlich kann ein Asthma auch heute noch sein, wenn es unbehandelt oder unterbehandelt ist. Um den Umgang mit der Erkrankung zu lernen und sich sicher zu sein, sollten Sie sich regelmäßig ärztlich kontrollieren und sich schulen lassen (sh. Stufenplan). Sie können, wenn Sie einige Tipps beachten, ein normales Leben führen, wenn Sie ihr Asthma richtig behandeln lassen.
Autorin:
Dr. Dagmar Gillmann-Blum
Lungenärztin in der Pneumologischen
Gemeinschaftspraxis in der MED