19. Jan 2022
von Dr. Alexander Hauber, Kardiologe
Frau Keller geht es in letzter Zeit nicht gut. Vor über einem Monat hatte sie eine Infektion mit dem Coronarvirus. Der Krankheitsverlauf war eigentlich gar nicht so schlimm, Hauptsymptome waren Husten, Schnupfen und Kopfschmerzen.
Zwei Tage musste sie mit Fieber und allgemeiner Schwäche das Bett hüten. Außerdem konnte sie kaum mehr schmecken und riechen. Nach einer Woche war dann alles vorbei und sie fühlte sich wieder gut. Zum Glück hatte sie sich dreimal impfen lassen, sonst wäre die Infektion sicher schwerer verlaufen. Zwei Wochen nach der überstandenen Krankheit kamen Schlappheit und Müdigkeit aber wieder zurück. Bei Belastung kommt sie seither leicht außer Atem und sie verspürt einen schnellen Puls und immer wieder stechende Brustschmerzen.
Sie war beim Hausarzt, wo ein EKG geschrieben und im Blut der Troponin-Wert bestimmt wurde. Das war alles in Ordnung gewesen. Der Hausarzt hat sie aber dennoch zu weiteren Untersuchungen zum Kardiologen überwiesen, weil er eine Herzmuskelentzündung nicht sicher ausschließen konnte. Jetzt sorgt sich Frau Keller wegen des Ergebnisses der kardiologischen Untersuchung. Sie hat gehört, dass Herzmuskelentzündungen nicht nur nach Infektionen mit dem Coronavirus, sondern auch nach der Impfung häufig auftreten. Sie befürchtet, dass eine gravierende Schädigung des Herzens besteht und sie in Lebensgefahr schwebt.
Das Coronavirus kann, wie einige andere Viren auch, auf das Herz übergreifen und sich in den Herzmuskelzellen selbst ausbreiten. Eine solche Entzündung von Herzmuskelzellen nennt man Myokarditis.
Das Wort setzt sich zusammen aus dem Griechischen „Myos“ (=Muskel) und „Kardia“ (=Herz), die Endung -itis wird für entzündliche Erkrankungen verwendet. Durch die Entzündung können Herzmuskelzellen ihre Funktion verlieren und letztlich auch zu Grunde gehen.
Bei schweren Verläufen drohen folgende Komplikationen:
Auch eine Infektion mit der aktuell vorherrschenden Omikron-Variante des Coronavirus kann insbesondere bei nicht geimpften Menschen und bei Menschen mit Risikofaktoren (höheres Alter, Vorerkrankungen) schwer verlaufen.
Die Wahrscheinlichkeit, dass eine infizierte Person im Krankenhaus behandelt werden muss, liegt aktuell (Stand März 2022) bei ca. 0,5%. Das bedeutet, dass etwa einer von 200 Infizierten im Krankenhaus behandelt werden muss. Die Wahrscheinlichkeit zu versterben, liegt bei ca. 0,1%, es stirbt also etwa eine von 1000 infizierten Personen.
Aufgrund von statistischen Effekten (Dunkelziffer der Infektion, keine Abgrenzung von Krankenhausaufnahme wegen oder mit dem Coronavirus), liegen die tatsächlichen Risiken niedriger. Hauptursache der schweren und tödlichen Verläufe sind Komplikationen an der Lunge und Blutvergiftung mit Multiorganversagen, außerdem können durch Gerinnselbildung Herzinfarkte und Lungenembolien auftreten
Die Myokarditis ist dagegen eine sehr seltene Komplikation der Infektion mit dem Coronavirus. Sie tritt bei ca. 40 von einer Million infizierter Personen auf, es erkrankt also nur eine von 25.000 an einer Myokarditis.
In den Zulassungsstudien der Impfstoffe gegen das Coronavirus gab es wenige Nebenwirkungen, insbesondere traten keine Fälle von Myokarditis auf. Als die Impfstoffe aber breit in der Bevölkerung eingesetzt wurden, erkannte man, dass Herzmuskelentzündungen insbesondere bei jungen, männlichen Impflingen vorkommen. Dies hat zu großem Aufsehen geführt, weil junge Menschen durch das Virus nur gering gefährdet sind und zunächst unklar war, ob für diese Gruppe die Risiken gar den Nutzen der Impfung übersteigen.
Mittlerweile weiß man aus großen Register-Studien, dass ca. 10 von einer Million Impflingen eine Myokarditis erleiden. Bei unter 20-jährigen männlichen Impflingen liegt das Risiko bei 50 auf einer Million. Es erkranken damit eine von 100.000 geimpften Personen insgesamt und einer von 20.000 geimpften Männern unter 20 Jahren.
Wichtig ist dabei, dass der Verlauf einer durch die Impfung ausgelösten Herzmuskelentzündung deutlich milder ist als bei durch Viren verursachter Myokarditis. Anhaltende Herzmuskelschwäche oder gar Todesfälle kommen so gut wie nicht vor. Insgesamt ist festzuhalten, dass eine Myokarditis nach Impfung sehr selten und weitgehend ungefährlich ist.
Menschen, die an einer Myokarditis erkranken, haben ein allgemeines Krankheitsgefühl, sind schlapp und abgeschlagen und leiden häufig unter Brustschmerzen.
Eine durch Impfung ausgelöste Myokarditis tritt binnen 3 bis 14 Tagen auf, eine durch das Coronavirus verursachte Myokarditis bis zu 4-6 Wochen nach der Infektion. Der Hausarzt kann ein Elektrokardiogramm (EKG) schreiben, das häufig unspezifische Veränderungen des Stromkurvenverlaufs aufweist.
Als wichtigsten Laborparameter kann er den Troponin-Wert bestimmen. Troponin ist ein Protein, das in Herzmuskelzellen beheimatet ist. Wenn erhöhte Troponin-Spiegel im Blut messbar sind, bedeutet dies, dass Herzmuskelzellen zugrunde gegangen sind und deswegen das Protein aus den Zellen in die Blutbahn ausgeschwemmt wurde. Ein normaler Troponin-Wert schließt eine Myokarditis weitgehend aus.
Der Kardiologe kann in unklaren Fällen darüber hinaus das Herz mit Ultraschall darstellen, diese Untersuchung nennt man Echokardiographie. Dabei kann festgestellt werden, ob als Folge einer Myokarditis eine Herzschwäche aufgetreten ist und ob sich wegen der Entzündung Flüssigkeit im Herzbeutel (=Perikarderguss) befindet.
Wenn diesen Untersuchungen den Verdacht auf eine Myokarditis bestätigen, muss der Patient in der Regel ins Krankenhaus eingewiesen werden, damit dort weitere diagnostische Maßnahmen wie eine Kernspintomographie des Herzens (Cardio-MRT), eine Herzkatheteruntersuchung und in einigen Fällen auch die Entnahme einer Gewebeprobe des Herzmuskels (Biopsie) durchgeführt werden können.
Medikamentös kommen Entzündungshemmer wie Voltaren und Ibuprofen sowie Kortison zum Einsatz. In seltenen Fällen ist darüber hinaus der Einsatz von starken Immunsuppressiva notwendig.
Wichtigste Allgemeinmaßnahme ist körperliche Schonung, weil durch Belastung gefährliche Herzrhythmusstörungen ausgelöst werden können. Meist dürfen betroffene Patienten für 3 bis 6 Monate keinen Sport betreiben. In schweren Fällen muss eine Defibrillator-Weste verordnet werden, die den Herzrhythmus überwachen und bei Störungen einen Elektroschock abgeben kann.
Die kardiologische Untersuchung in der Cardiopraxis bringt zum Glück unauffällig Ergebnisse, Frau Kellers Herz ist vollkommen gesund. Ihre Symptomatik ist eine Folge der Erkrankung mit dem Coronavirus, die als Long-COVID bezeichnet wird.
Der Arzt erklärt ihr, dass bis zu 15% der Menschen nach durchgemachter Infektion für mehr als 4 Wochen anhaltende Symptome wie ständige Erschöpfung (Fatigue), Atemnot, Brustschmerzend, Herzrasen und Herzklopfen, Müdigkeit, Schwindel, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen haben. In den meisten Fällen findet man bei Untersuchungen keine organische Ursache dafür.
Das ist positiv, weil kein bleibender Organschaden und damit gute Aussicht auf eine komplette Erholung bestehen. Es gibt aber leider keine spezifische Therapie, die die Symptomatik rasch verbessern kann.
Für schwere Fälle kommen stationäre Rehabilitations-Maßnahmen in Frage (Liste über Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation im Internet). Frau Keller will nun langsam ihre körperliche Leistungsfähigkeit über ein Trainingsprogramm steigern.
Wichtig ist dabei, dass sie geduldig bleibt und sich nicht überlastet. Dann wird sie sich in einigen Wochen wieder wohl fühlen.