23. Mai 2024
Die Therapie der Adipositas hat sich in den letzten Jahren durch die Einführung von Medikamenten zum Abnehmen deutlich verbessert. Dennoch bleibt das Problem der Basistherapie und die Verunsicherung der Menschen durch viele Zeitschriften, die scheinbar immer wieder neue Wunderdiäten verkaufen wollen.
Die Einteilung der Adipositas erfolgt nach der WHO-Klassifikation und basiert auf der Berechnung des eigenen BMI (BMI-Rechner). Man spricht von Untergewicht bei einem BMI von < 18,5 kg/m2, normal ist 18,6 - 25 kg/m2. Übergewicht liegt zwischen 25 und 30 kg/m2, und die Adipositas wird in drei Grade eingeteilt, zwischen 30 und 35 kg/m2 und 35-40 kg/m2 sowie >40 kg/m2. Die Häufigkeit der Adipositas liegt in Deutschland bei 20 %, und die Prävalenz ist steigend.
Die Ursachen der Adipositas sind sicherlich auch teilweise genetisch, aber es gibt nur selten monogenetische Ursachen. Die häufigste Ursache ist ein Ungleichgewicht zwischen Ernährung und Bewegung.
Die Esskultur in unserer Gesellschaft ist deutlich schlechter geworden; die Menschen nehmen sich für Essen keine Zeit, und Essen wird häufig als sogenannte Übersprungshandlung aus Frust, Langeweile oder Stress betrachtet. In vielen Familien gibt es keine gemeinsamen Mahlzeiten mehr pro Tag.
Die Nahrung, die häufig von Fast-Food-Ketten angeboten wird, enthält zu große Portionsgrößen, die Essgeschwindigkeit ist zu hoch, und die Nahrung enthält zu hohe Mengen an Fett, Salz und Zucker. Geschmacksverstärker wie Glutamat können den Appetit noch mehr anregen. Farb- und Geruchsstoffe lassen das Essen dann appetitlich erscheinen.
Schon Kindersendungen sind voll von Werbung für zucker- und fetthaltige Lebensmittel. Es wird nicht genügend darauf hingewiesen, dass in Softdrinks, Babynahrung, Tees und Fleischwaren Zuckerzusatz enthalten ist. In den Laboranalysen zeigt ein sekundärer Hyperinsulinismus die zu kohlenhydrathaltige Nahrung an.
Neuere Studien weisen auch auf die Bedeutung des Mikrobioms des Darmes bei der Entstehung einer Adipositas hin. Tierexperimente zeigen, dass steril aufwachsenden Mäuse trotz hochkalorischer Ernährung kein Gewicht zu-nehmen. Dies geschieht erst nach einer Stuhltransplantation, dann entwickeln diese Mäuse Übergewicht. Dies erklärt möglicherweise aber auch den nachhaltigen gewichtsreduzierenden Effekt von längeren Fastenperioden.
Ob die Einnahme von Probiotika einen gewichtsreduzierenden Effekt hat, wird diskutiert.
Das Hauptproblem ist der Bewegungsmangel. Neuere Studien haben gezeigt, dass sich die Ernährung im Wesentlichen gar nicht so stark in den letzten Jahren verändert hat, sondern die Häufigkeit an Bewegungsaktivitäten reduziert ist. Viele Menschen arbeiten in sitzender Tätigkeit oder benutzen Auto, Fahrstühle und Rolltreppen, ohne an ihre eigene körperliche Bewegung zu denken.
Natürlich gibt es auch genügend hormonelle Ursachen für Adipositas, wie zum Beispiel Erkrankungen der Schilddrüse, der Nebenniere oder der Hypophyse.
1. Hypothyreose (Unterfunktion der Schilddrüse):
Diese entsteht durch Schilddrüsenoperationen oder durch Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse (Hashimoto). Therapie der Wahl ist die Substitution von L-Thyroxin. Schilddrüsenhormone werden auch häufig zum Abnehmen eingesetzt. Dabei sind besonders T3-Präparate beliebt, aber die Mortalität durch höhere Dosen ist bei Patienten mit präexistenten Herzerkrankungen erhöht, da T3 zu Herzrhythmusstörungen führen kann. Radius-, Wirbelkörper- und Schenkelhalsfrakturen oder auch Patienten mit erniedrigter Knochendichte fokussiert.
2. Nebennierenüberfunktion bzw. Kortisontherapie:
In seltenen Fällen produziert die Nebenniere zu viel körpereigenes Cortisol, entweder bei Vorliegen eines gutartigen Tumors der Nebenniere oder bei einer Überfunktion aus der Hypophyse (ACTH).
Beides kann behandelt werden, woraufhin es auch wieder zu einer Gewichtsnormalisierung kommt. Bei der chronischen Cortisontherapie, zum Beispiel bei Asthma, entzündlichen Darmerkrankungen oder Rheuma, sollte man immer so wenig wie nötig an Cortison einnehmen.
3. Hyperandrogenämie (zu viele männliche Hormone bei der Frau):
Die Hormonstörung führt nicht nur zu einer Vermännlichung, sondern häufig auch zu einem gestörten Insulinstoffwechsel, der zu Adipositas führen kann. Die Behandlung der Hormonstörung kann oft auch mit einer Gewichtsreduktion einhergehen.
4. Hypophyseninsuffizienz:
Bei Menschen ohne Funktion der Hypophyse nach Tumoren, Operationen oder Entzündungen kann trotz hormoneller Ersatztherapie Übergewicht auftreten. Dieses ist bedingt durch den häufig begleitenden Wachstumshormonmangel im Erwachsenenalter, der entsprechend behandelt werden kann.
5. Geschlechtshormonmangel:
Menopause und Östrogenmangel bzw. Andropause und Testosteronmangel haben eine Gewichtszunahme zur Folge. Frauen nehmen innerhalb von 10 Jahre nach dem Eintritt der Menopause ca. 10 kg ohne Einnahme von Östrogenen zu, jedoch nur ca. 2 kg mit einer Östrogensubstitution. Ein Testosteronmangel beim Mann führt zu einer Abnahme der Muskelmasse durch Zunahme der Fettmasse. Eine Testosteronersatztherapie kann diesen Prozess reversibel gestalten.
Die Diagnostik bei Adipositas erfordert Laboruntersuchungen zur Abklärung hormoneller Ursachen. Als Ausgangswert vor einer Therapie ist es von großem Vorteil, wenn man eine Messung der Körperzusammensetzung entweder mit einer bioelektrischen Impedanz-Analyse (BIA) oder einer Dual-Röntgenabsorption (DXA) macht (Abb.1).
Für die Therapie der Adipositas stehen 6 Möglichkeiten zur Verfügung:
Viele Patienten wollen abnehmen, werden aber immer wieder rückfällig (sog. JoJo-Effekt), weil Sie in Ihren gewohnten Mustern, Glaubenssätzen und Gewohnheiten verharren. Der Punkt „Veränderung von Lebensgewohnheiten“ ist ein wesentlicher Bestandteil jeglicher Therapie. Hier kommt therapeutisches Coaching zum Einsatz.
Der Start hin zu einer Lebensveränderung kostet manchen Patienten schon viel Mut, Energie und eigene Kraft. Wenn da noch ein Coach oder Therapeut unterstützend und mit positivem Support begleitend zur Seite steht, dann kann das ganz viel Erfolg bringen (z.B. www.carolin-hingst.de oder www.laufzeit-mainz.de u.a.). Viele der adipösen Patienten können sich selbst nicht leiden. Sie wissen, dass Sie dick sind und sie wissen auch, was sie essen und welchen Sport sie machen sollten, aber die Umsetzung, das Durchhaltevermögen, das Ziel verfolgen, die psychischen Rückschläge auszuhalten etc., das ist doch für ganz viele Übergewichtige oft ein limitierender Faktor.
Die Änderungen in der Ernährung bestehen im Wesentlichen aus Verzicht auf zuckerhaltige und kohlenhydratreiche Nahrungsmittel. Der Eiweißgehalt und die Menge an Ballaststoffen in der Nahrung sollten erhöht werden. Es sollte max. 3 Mahlzeiten pro Tag eingenommen werden (keine kl. Zwischenmahlzeiten). Verschiedene Ernährungssysteme wie Weight Watchers, BCM oder Metabolic Balancing etc. können erfolgreich angewendet werden. Spezielle Nahrungsergänzungsmittel können sehr hilfreich unterstützen (https://www.medi-manage-vital.de/sport- abnehmen/).
Die Erziehung zu mehr Bewegung und Sport beinhaltet im Wesentlichen die Regelmäßigkeit der Betätigung. Es wird vor allem Kraft- und Ausdauertraining empfohlen. Wir empfehlen dreimal pro Woche anderthalb Stunden Training mit einem mittleren Puls von 120 Schlägen pro Minute (bei herzgesunden Menschen). Sehr praktikabel ist z.B. 30 Min. Radfahren, 30 Min. Laufen oder Ellipsen-Training und 30 Min. Krafttraining. Dieses Sportprogramm sollte mindestens 3 Monate durchgeführt werden, bevor es zu einer nachhaltigen „Umprogrammierung“ des Zentrums für die Regulation der Körperzusammensetzung im Hypothalamus kommt. Schuld daran ist die Blut-Hirn-Schranke, die keine kurzfristigen Informationen über den aktuellen Stoffwechselstatus aus der Körper-Peripherie ins Gehirn überbringen.
Die Informationen über den Stoffwechselzustand werden u.a. hormonell (Leptin, Ghrelin u.a.) übermittelt, und dies erfolgt vermutlich über die sog. Tanyzyten. Tanyzyten sind Zellsysteme, die das hypophysäre Blutgefäß-Portalsystem mit dem Hypothalamus verbinden. Da diese Zellen sehr langgestreckt sind, dauert naturgemäß der Informations-fluss mehrere Wochen. Das erklärt, warum Gewichtsveränderungen erst nach Monaten wirklich nachhaltig bemerk-bar sind. Dies gilt im Übrigen möglicherweise auch für die Wirkung von gewichtsreduzierenden Medikamenten. Praktisch bedeutet das, dass man mindestens 3 Monate trainieren sollte, bevor das Gewicht sich nachhaltig nach unten bewegt und weitere 3 Monate, damit es auch unten bleibt (sog. Nachhaltigkeitprinzip).
Als Medikamente zur Gewichtsreduktion stehen neuerdings sehr potente Arzneimittel zur Verfügung. Ein Überblick zeigt Abb. 2.
Die Arzneimittel, die in der Vergangenheit verfügbar waren, hatten meist zu starke Nebenwirkungen, wie zum Beispiel schwere Fettstühle, die dann mit einer guten Lebensqualität nicht vereinbar waren. Die Arzneimittel der Wahl sind zurzeit Medikamente aus der Gruppe der GLP-1-Rezeptor-Agonisten. Hier sind Liraglutid (Saxenda®) und Semaglutid (Wegovy®) zur Behandlung der Adipositas zugelassen. GLP-1 ist das Glukagon-ähnliche Peptid-1; es hat direkte und indirekte Effekte auf das Gehirn, die Leber, den Muskel, die Bauchspeicheldrüse und den Magen-Darm-Trakt. Daher fördern diese Medikamente auch eine Steigerung der Insulinausschüttung und der Insulinsynthese. Semaglutid hemmt die Magenentleerung und die gastrointestinale Motilität (daher kommen auch die unten genannten Nebenwirkungen). Im Gehirn wird das Hungerzentrum gehemmt, wodurch es zu einer geringeren Nah- rungsaufnahme kommt. Diese Medikamente haben hauptsächlich gastrointestinale Nebenwirkungen, die bis hin zu einer schweren Pankreatitis führen können. Die Medikamente werden einmal pro Woche subkutan injiziert und müssen in niedrigen Dosen langsam gesteigert werden.
Die Medikamente wirken nur, wenn man gleichzeitig Ernährung und Bewegung optimiert. Mit Semaglutid ist eine Gewichtsreduktion von im Mittel 11% in 6 Monaten möglich. Nach der aktuellen Studienlage kommt es allerdings nach dem Absetzen meist zu einem sog. Rebound (erneute Gewichtszunahme auf den Ausgangspunkt), und dies insbesondere bei Patienten ohne adäquates begleitendes Sportprogramm.
Es sind auch sogenannte Agonisten für die Rezeptoren von GLP-1 und GIP (Glucose-abhängiges Insulinotropes Poly- peptid) für die Therapie zugelassen. An erster Stelle steht hier das Tirzepatid (Mounjaro®), welches in den nächsten Jahren in einer neu aufgebauten Fertigungsanlage in Alzey durch die Fa. Eli Lilly hergestellt werden wird. Dieses Arzneimittel führt zu einer Gewichtsreduktion von bis zu 30% innerhalb von 6 Monaten.
Weitere zukünftige Entwicklungen sind sogenannte GGG Triagonisten, die ähnlich wie GIP, GLP-1 und Glucagon wir-ken. Hiermit wird es möglich sein, noch mehr Gewicht zu reduzieren.
Als letzte Möglichkeit zur Gewichtsreduktion besteht die Option einer bariatrischen Operation. In der Vergangen-heit wurden hier Magenbänder eingesetzt oder der Magen verkleinert. Dies hat allerdings nie zu nachhaltiger Ge-wichtsreduktion geführt. Heutzutage werden vorwiegend sogenannte Magen-Bypass-Operationen durchgeführt, bei denen der Magen zum Teil verschlossen wird oder es wird ein Schlauchmagen gebildet, sodass nur ein kleiner Rest- Magen vorhanden ist. Der Dünndarm wird dann an tiefer gelegene Darmteile angeschlossen, wodurch die Nah-rungsaufnahmemöglichkeit reduziert wird.
Gleichzeitig werden auch die Ausschüttung von Magenhormonen wie zum Beispiel das Ghrelin ausgeschaltet, wodurch Gewichtsreduktionen von 50 bis 100 Kilogramm erreicht werden können. Diese Operations-Techniken sind hauptsächlich für Patienten mit Adipositas Grad 3 geeignet.
Solche Operationen werden nur an Zentren durchgeführt, die entsprechende Erfahrung damit haben. Die Nachbe-treuung erfolgt dann beim Hausarzt oder in speziellen endokrinologischen Zentren. In der Regel ist jedoch eine Substitution mit Vitaminen, Eisen usw. notwendig und möglich, und in der Regel problemlos. Die Lebensqualität und die Häufigkeit von Komplikationen durch Adipositas ist in der Regel 1 Jahr nach der Operation um ein Vielfaches besser als vor der Operation.
Zusammenfassung
Adipositas ist eine Volkskrankheit, die immer mehr Menschen betrifft. Sie führt zu einer Vielzahl von Sekundärer-krankungen, die zum Teil sehr schwerwiegende, negative Einflüsse auf die Lebensqualität haben.
Hauptursache ist der Bewegungsmangel und fetthaltige Nahrungsmittel. Therapie der Wahl ist Änderung der Lebensgewohnheiten, Ernährungsumstellung und Ausdauersport. Medikamentöse Therapieformen stehen zur Verfügung, haben aber eine hohe Inzidenz an Rebound-Phänomenen. Operative Methoden stehen für schwere Fälle zur Verfügung.
Danksagung
Mein besonderer Dank gilt Carolin Hingst (www.carolin- hingst.de), Chiara de Paola & Monika und Monika Wüster (https://www.medi-manage-vital.de/) für viele hilfreiche Kommentare bzgl. Lifestyle-, Sport- und Ernährungsände-rungen und fürs Redigieren.
Weiterführende Literatur
C. Wüster, Endokrinologie und Osteologie in der Hausarztpraxis: Leitfaden für die tägliche Patienten-Versorgung. Springerverlag, Heidelberg
oder via www.amazon.de (Stichwörter „Wüster“ und „Endokrinologie“)
Prof. Dr. med. Dr. h.c. Christian Wüster
Facharzt f. Innere Medizin/ Endokrinologie, Osteologie
MED Facharztzentrum,
Hormon- & Stoffwechselzentrum,
Prof. für Osteologie (Univ. Mainz)