14. Mai 2020
Frau Keller kennen ja nun mittlerweile alle Leser der MED News, in der letzten Ausgabe haben wir uns ausführlich um die Enkelin von Frau Keller gekümmert, die eine Vorstufe einer Osteoporose hat und nur mit einer Basistherapie behandelt wurde.
Die dort aufgeführten Maßnahmen der Basistherapie werden bei der Therapie der manifesten Osteoporose mit Knochenbrüchen zur Grundlage der medikamentösen Frakturprophylaxe.
Die ältere Schwester von Frau Keller ist 73 Jahre und hatte eine Schenkelhalsfraktur erlitten, sie kam jetzt in das osteologische Schwerpunktzentrum von Prof. Wüster, um zu erfahren, ob eine Osteoporose vorliegt. Dort wurde sie zunächst ausführlich bezüglich der Krankheitsgeschichte befragt, es erfolgte die Messung der Knochendichte und dann Laboruntersuchungen, die einerseits das Stadium der Erkrankung untersuchen und andrerseits ausschließen, dass keine sekundäre Knochenstoffwechselerkrankung vorliegt, die zu einer möglichen Osteoporose geführt haben.
Anschließend besprach Professor Wüster die möglichen Therapiemaßnahmen mit der Patientin und klärte ihr die Grundlagen der Therapie. Diese Ziele der Osteoporosetherapie, die Grundzüge einer gezielten Schmerztherapie und allgemeines zur medikamentösen Therapie der Osteoporose sind in diesem Heft der MED News dargestellt. Im nächsten Heft folgen dann die verschiedenen Formen der Medikamente, die zur Behandlung einer Osteoporose eingesetzt werden
Die Krankheit der Osteoporose teilt sich in zwei große Untergruppen ein:
Ziel der Behandlung der Osteoporose ohne Frakturen ist es, die Knochendichte zu steigern und Knochenbrüche zu verhindern. Ohne Therapie ist das Risiko bei Patienten mit erniedrigter Knochendichte vermehrt Knochenbrüche zu erleiden, deutlich erhöht.
Ziel der Behandlung der Osteoporose mit Frakturen ist es, neue, weitere Frakturen zu verhindern, Schmerzen zu lindern und die Frakturheilung zu unterstützen. Ohne medikamentöse knochenaufbaufördernde bzw. knochenabbauhemmende Therapie ist das Risiko weiterer, neuer Frakturen dramatisch erhöht.
Patienten mit Osteoporose ohne Frakturen haben keine Osteoporose-bedingten Knochenschmerzen („Niedrige Knochendichte tut nicht weh“).
Bei Patienten mit Osteoporose-assoziierten Knochenbrüchen und dadurch bedingten Knochenschmerzen ist eine individualisierte Schmerztherapie erforderlich und indiziert.
Schmerzen entstehen an der Stelle des Knochenbruchs und durch die eingeschränkte Funktion des Knochens an der Lokalisation des Knochenbruchs. Die alleinige Erniedrigung der Knochendichte ohne Vorhandensein von Knochenbrüchen verursacht wohl keine Schmerzen.
Die Schmerztherapie bei Osteoporose ist daher dreigeteilt:
Die medikamentöse Therapie der Osteoporose zur Hemmung der Frakturrate (Kapitel 3) ist im eigentlichen Sinne keine Schmerztherapie.
Knochenbrüche können heilen, indem die Knochen wieder zusammenwachsen. Diese Frakturheilung kann man durch eine Operation unterstützen oder durch Eingipsen der Knochen bzw. Extremitäten (Ruhigstellung). Operationen mit Nägeln und Platten führen zu der Zusammenführung der Knochenenden, so dass die Knochen wieder gerade zusammenwachsen. Dies gilt im Wesentlichen vor allem für die Frakturen der langen Röhrenknochen (Unterarm, Oberarm, Ober- und Unterschenkelknochen. Bei den Hüftfrakturen benutzt man eine dynamische Hüftschraube oder macht gleich eine Totalendoprothese („neue Hüfte“). Wirbelfrakturen kann man nicht eingipsen, hier kann man Zement in den Wirbelkörper einspritzen, um ihn wiederaufzurichten (Kyphoplastie). Ob dies gemacht werden muss oder nicht, entscheidet in der Regel der Wirbelsäulenchirurg eines entsprechend erfahrenen Zentrums. Ansonsten heilen Wirbelkörperfrakturen auch nach einigen Wochen spontan, wobei allerdings die Verformung des Wirbels bleibt.
Besonders bei akuten Wirbelkörperfrakturen hat sich der Einsatz von sog. Wirbelsäulenorthesen wie z.B. der „Spinomed“ (https://www.medi.de/produkte/spinomed/) bewährt. Dies führt zu einer Aufrichtung der Wirbelsäule und zu einer geraden Körperhaltung. Getragen werden sollten diese Orthesen im Wesentlichen, wenn der Patient sich außerhalb seines gewohnten Lebensraumes bewegt, d.h. nicht zu Hause ist. Mieder um den Bauch oder Dreipunktkorsetts haben bei der Osteoporose mit Wirbelkörperfrakturen keine Anwendung.
Die Physiotherapie richtet sich danach, wie akut die Fraktur ist. Am Anfang fokussiert diese im Wesentlichen auf schmerzfreie Mobilisation und Erhaltung der Beweglichkeit. Eine Immobilisierung nach akuter Osteoporose-assoziierter Wirbelkörperfraktur ist eher schlecht für die Prognose, da dadurch häufig weitere Frakturen folgen. Ist die Fraktur verheilt, zielt die Physiotherapie auch auf Muskelkräftigung und Verbesserung der neuromuskulären Funktionalität. Muskelaufbautraining an Geräten gehört in die Hand von spezialisierten Zentren wie z.B. das „Kiesertraining“.
Muskelaufbautraining mittels EMS ist nicht kontraindiziert, Training an Vibrationsplatten kann mit Vorsicht und unter fachmännischer Anleitung erfolgen. Die besten Muskelaufbautrainingsverfahren sind Ganzkörpertraining z.B. mittels Theraband. Hier wird von einem Ganzkörpertraining gesprochen, was alle Muskelgruppen im Körper anspricht. Hier ein Beispiel: https://www.fitforfun.de/workout/fitness/krafttraining-ohne-geraete-zuhause-ganz-stark-werden-_aid_14428.html oder http://uniradsport.usp-sport.com/Downloads/Kraft-mit-Koerper.pdf.
In der Regel kann dies mit einem einfachen Theraband zu Hause im Wohnzimmer selbst durchgeführt werden (https://www.artzt.eu/ratgeber/uebungen/theraband-uebungen). Entsprechende Anleitung können die Physiotherapeuten jeden Menschen individuell zukommen lassen. Nur ein Knochen, der durch Muskelzug und genügend Gewicht belastet wird, kann auch gut auf eine medikamentöse Osteoporose Therapie ansprechen. Die Art des Muskelaufbau Training muss individuell angepasst werden. Menschen mit Wirbelfrakturen durch Osteoporose sollten nicht über die Schmerzgrenze hinaus gehen und keine Übungen machen, die zu sehr für die Wirbelsäule belastend sind.
Eine Physiotherapie im Rahmen einer Selbsthilfegruppe hilft vielen aus der Einsamkeit, führt zu besserer fachmännischer Bewegungstherapie und macht in der Gemeinschaft auch mehr Spaß. Die Selbsthilfegruppe Osteoporose Mainz e.V. bietet solche Therapiestunden an, Interessierte können sich an Frau Genz wenden (Tel. beim Autor).
Die medikamentöse Schmerztherapie erfolgt nach den gleichen Kriterien wie die Schmerztherapie bei anderen Erkrankungen mit chronischen Schmerzen. Es gibt Opioid- und Nicht-Opioidhaltige Schmerzmittel. Schwach wirksame Opioide sind z.B. Codein, Dihydrocodein, Tilidin und Tramadol, für stark wirksame Opioide muss der Arzt ein spezielles Betäubungsmittelrezept ausstellen.
Opiode wirken zentral im Gehirn und haben daher häufig entsprechende Nebenwirkungen wie Benommenheit, Übelkeit oder Verstopfung. Dies kann zu einer erhöhten Fallneigung führen und ist besonders bei Osteoporose mit einer erhöhten Frakturhäufigkeit assoziiert. Von daher werden bei Knochen- und Gelenkschmerzen, insbesondere bei Osteoporose und Arthrosen gerne sog. NSAR eingesetzt.
Die häufigst verschriebenen Präparate sind Ibuprofen und Voltaren. Nebenwirkungen sind nach Einnahme Magenschmerzen und kumulativ Nierenversagen, letzteres ist naturgemäß bei älteren Patienten nicht vordergründig relevant, es sei denn der Patient hat schon einen Nierenschaden. Sehr beliebt sind Celecoxib und Etoricoxib, welche diese Nebenwirkungen nicht haben, allerdings ist hier Vorsicht hinsichtlich Herz- und Kreislauferkrankungen sowie bei Hypertonikern gegeben. Häufig eingesetzt wird auch Metamizol (Novalgin).
Muskelentspannende Maßnahmen bzw. Medikamente können häufig die Wirkung von Schmerzmitteln unterstützen. Dasselbe gilt für Antidepressiva, die die Schmerzverarbeitung verbessern. Die beiden letzteren Maßnahmen können zu einer Dosisreduktion von Schmerzmitteln führen.
Wichtig bei der medikamentösen Schmerztherapie ist m.E. folgendes:
Schmerzmittel sollten regelmäßig eingenommen werden
Der
Arzt sollte über die sog. Halbwertszeit des Arzneimittels aufklären, so
dass der Patient weiß, wie oft er das Mittel pro Tag einnehmen muss. Die Dosisanpassung erfolgt pro Tag, d.h. wenn die Schmerzen besser sind, wird eine geringere Tagesgesamtdosis eingenommen Schmerzmittel sollten wenn möglich nicht nur bei Bedarf eingenommen werden.
Ausführlichere Informationen finden Sie auf folgenden Websites:
2.4.1. Dauer der medikamentösen Osteoporose-Therapie
Eine medikamentöse Therapie der Osteoporose zur Hemmung neuer Knochenbrüche erfolgt im Allgemeinen über Jahrzehnte. Sie muss immer durch eine sog. Basistherapie mit calciumreicher Ernährung (Mineralwässer), ausreichend Vitamin D, eiweißreiche Kost und täglichen Muskelaufbaumaßnahmen unterstützt werden. Regelmäßige Knochendichtemessungen fördern die Compliance, d.h. die Patienten nehmen auch die verschriebenen Medikamente. Die Compliance ist bei den parenteral applizierten Arzneimitteln auch höher.
2.4.2. Therapieüberprüfung
Ein Benefit der Therapie, d.h. eine Reduktion der Frakturrate lässt sich im Wesentlichen nur bei denjenigen Patienten nachweisen, bei denen auch ein Anstieg der Knochendichte zu verzeichnen ist. Steigt die Knochendichte nicht an, muss der Arzt die Richtigkeit der Diagnose überprüfen, indem differentialdiagnostische Untersuchungen durchgeführt werden. Die Wirksamkeit der Therapie wird z.B. anhand des Verlaufs der Knochenumbaumarker (BTMs) untersucht. Wird die Basistherapie gewissenhaft durchgeführt? Ist das Körpergewicht konstant oder hat der Patient abgenommen?
2.4.3. Wahl des Therapeutikums
Häufig diskutiert wird die Wahl des wirksamsten, medikamentösen Therapieregimes. Antiresorptiv oder osteoanabol? Hier einige Parameter, die die Wahl des „richtigen“ Therapeutikums beeinflussen könnten:
In der Praxis ist für den Patienten allerdings meist die Art der Applikation entscheidend, d.h. Tablette oder Spritze?
2.4.4. Kombinations- oder Folgetherapien
Zum Schluss noch ein Wort zu der Frage, kann man die Arzneimittel kombinieren oder ist die Reihenfolge verschiedener Mittel entscheidend?
Die Kombinationen mehrerer Osteoporosetherapeutika ist in der Regel nicht zugelassen und wird von daher nicht praktiziert, wenngleich es z.B. kleinere Studien gibt, die zeigen, dass z.B. die Kombination von Denosumab mit Teriparatid wirksamer ist, als jeweils die Einzeltherapie.
Bei den Möglichkeiten von Folgetherapien ist vor allem zu beachten, dass z.B. eine Therapie mit Teriparatid gefolgt von einer antiresorptiven Therapie wesentlich effektiver ist als umgekehrt. Leider wird häufig der Patient meist aus Kostengründen schon vorab mit einem oralen Bisphosphonat anbehandelt und damit die Effektivität einer nachfolgenden anabolen Therapie herabgesetzt.
Autor: Prof. Dr. med. Dr. h.c. Wüster, Hormon- & Stoffwechselzentrum in der MED